Geschichte: Zum Schutz der Vielfalt

Kulturlandschaft im Muggiotal

Alte ländliche Gebäude, Zeugnisse der Vergangenheit und eine einzigartige Biodiversität sind im Muggiotal versteckt.

Das Muggiotal ganz im Süden der Schweiz ist bekannt für seine Raritäten der Flora, Fauna und Agrargeschichte. Das Ethnografische Museum des Muggiotals engagiert sich, gemeinsam mit weiteren Akteuren, für den Erhalt dieser einzigartigen Kulturlandschaft.

DAS IST

Mark Bertogliati, Kurator des Ethnografischen Museums des Muggiotals

Mark Bertogliati, Kurator des Ethnografischen Museums des Muggiotals
Jeder Stein da draussen erzählt eine Geschichte. Hier haben wir eine besonders hohe Dichte an Zeugnissen bäuerlicher Aktivitäten.

Wie gemalt liegen die kleinen Bergdörfchen rechts und links der Breggia. Trotz steiler Hänge, die von hellen Kalksteinschichten durchsetzt sind, wirkt die Landschaft nicht schroff, sondern lieblich mit ihren Wäldern, Lichtungen, Wiesen, Bergweiden und Weilern.  
Der Artenreichtum im Muggiotal ist überdurchschnittlich hoch: Es gibt über 1’000 verschiedene Pflanzen, ein Drittel aller in der Schweiz vorkommenden Spezies. Sogar die Pfingstrose wächst wild. Zudem ist die Region geprägt von einzigartigen Zeugnissen früheren bäuerlichen Lebens.

Doch Urbanisierung und moderne Landwirtschaft verändern die Kulturlandschaft. Wie lässt sich der besondere Charakter des Tals schützen? Ein Gespräch mit Mark Bertogliati, Forstingenieur und Kurator des Museums. 

DIE GANZE GESCHICHTE


Die Ästhetik der Kulturlandschaft mit ihrem Zusammenspiel von Wald, Weilern, terrassierten Wiesen und Weiden fällt überall auf. Auch vom Museum in Cabbio aus eröffnet sich ein schöner Blick auf das obere Tal und den Monte Generoso. Scudellate und Roncapiano sind ideale Ausgangspunkte für Wanderungen. Es blüht überall überdurchschnittlich intensiv.  

Wie kommt es zu dieser reichen Vegetation?

«Es ist typisch für Kalkzone. Es sind magere Böden, auf denen sich eine grosse Vielfalt an Pflanzen entwickeln kann, weil keine Spezies dominiert. Während der letzten Eiszeit gab es am Monte Generoso eisfreie Zonen. Dort konnten sich Flora und Fauna über einen viel längeren Zeitraum entwickeln als in anderen Regionen. Hinzu kommt das milde Klima. Doch auch der Mensch, wie er hier früher lebte, hatte Einfluss.» 

Der Artenreichtum ist besonders gross in den offenen und halboffenen Pufferzonen zwischen Wald und Siedlungen, sprich Lichtungen, Wiesen und Feldern. Ein Beispiel sind die Trockenwiesen, die hier über Jahrtausende bewirtschaftet wurden und heute von nationaler Bedeutung sind. Ein Minimum an Pflege und Schnitt ist zu ihrem Erhalt aber notwendig. Dasselbe gilt für Kastanienselven und Ackerterrassen.

Auch Steinkonstruktionen sind Lebensräume für Kleintiere und Pflanzen. 

Die traditionelle Landwirtschaft hatte positive Wirkung auf die Natur. Sie schaffte Abwechslung, Flora und Fauna passten sich an. Der Eingriff des Menschen ist nicht automatisch schlecht, wie man oft denkt.

Der Eingriff des Menschen in die Landschaft war also positiv? 

«Wir haben zwar keinen Vergleich zu Zeiten vor der Besiedlung, doch wir wissen, dass der Mensch schon sehr lange hier lebt und die Natur ihr Gleichgewicht damit fand. Es war bis Anfang des 20. Jahrhunderts ja ein limitierter Eingriff. Die Landwirtschaft war nicht so intensiv wie heute, dafür vielfältig. Das ist heute anders. Und das ist ein Problem. Wieso? Aus rein kommerziellen Gesichtspunkten lohnt sich das Bewirtschaften von Trockenwiesen und terrassierten Hängen nicht mehr. Ohne Pflege jedoch gehen diese wichtigen Pufferzonen verloren. Der Wald dringt vor, auch die urbanen Zonen im Untertal werden grösser. Bauliche Strukturen verfallen.» 

Pro tip
Authentisch und stilvoll wohnen im historischen Ortskern oder einer herrschaftlichen Villa: im Muggiotal gibt es eine Reihe schöner Bed&Breakfast-Unterkünfte, die zum Teil neu restauriert sind.
Das Gästebuch des einstigen Hotel Bellavista, das im Ethnographischen Museum des Muggiotals aufbewahrt wird, enthält Unterschriften ab 1867.
Wussten Sie, dass die Terrassen des Muggiotals, die Hänge in der Nähe der Dörfer, dank ihres aussgewöhnlichen ERhaltungzustandes noch heute sichtbar sind?

Neue Akteure sind gefragt zum Schutz des Tals. Sie müssen die wenigen lokalen Betriebe unterstützen. Zu ihnen gehört das Ethnografische Museum des Muggiotals, das 1980 entstand. Das Museum kümmert sich um den Erhalt von Trockenmauern, Saumpfaden, Kastanienselven, Brunnen und Gebäude, wie Roccoli, Graa, Nevère und veranstaltet Aktionstage mit Freiwilligen, eine Art von Flashmobs. Das bekannteste Projekt des Museums, die Mühle von Bruzella, hat gezeigt, wie Aufwertung erfolgreich funktioniert. Es reicht nicht, nur zu sanieren. Es muss ein neuer Sinn gefunden werden und Personen, die den Betrieb übernehmen.

Diesbezüglich erklärt Mark: «Aktuell prüfen wir mit einer umfassenden Forschungsstudie, wie auf der Alpe Nadigh und Genor die kleinen Alpsiedlungen, typische Postkartenmotive, mit ihren Trockenwiesen neu belebt werden können.» 

«Das Zusammenspiel aus Natur, Landschaft und Kulturgeschichte zeichnet das Muggiotal aus.»

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