Entierro
Im Vergleich zur Funziun di Giüdee ist die Karfreitagsprozession, die früher auch Entierro (“Beerdigung” Christi) genannt wurde, wahrscheinlich die ältere und mit Sicherheit die feierlichere Prozession.
Der Moment der Sammlung wurde dadurch betont, dass alljährlich an Karfreitag ein Staatstrauertag angeordnet wurde. In unseren Breitengraden gehört die Bezeichnung Entierro seit der Herrschaft der Spanier in der benachbarten Lombardei zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert zum allgemeinen Wortschatz, also seit der Zeit, die unmittelbar auf das Trienter Konzil folgte, das die Reaktion der katholischen Kirche auf die allgemeine Bedrohung durch die protestantische Reform war.
Im Gebiet des heutigen Kantons Tessin wurde die katholische Orthodoxie und die Verankerung der Traditionen unter den Gläubigen mit besonderer Härte gepredigt, wobei die Orden eine Schlüsselrolle einnahmen.
In Mendrisio übernahmen die Serviten Marias diese Aufgabe. Der 1233 von einigen Bürgern vornehmer Herkunft, genannt die Sieben Heiligen Gründer, in Florenz gegründete Orden der Brüder in schwarzen Trauerkutten, die an die besondere Marienverehrung der Serviten erinnert ,liessen sich 1451 auf Anfrage des Adelsgeschlechts der Sanseverino in dem Weiler nieder und richteten sich erst in der Kirche San Sisionio alla Torre und später im Ospizio di San Giovanni ein (dem ehemaligen Kloster der Umiliati), mit der dazugehörigen Kirche Santa Maria delle Grazie.
Nur zweimal verliessen sie Mendrisio: das erste Mal eine kurze Zeit, in der sie nach Capolago umzogen (1474 -1477) und das zweite Mal 1641, als die Ermordung des ehemaligen Priors Alfonso della Torre mit einer Hakenbüchse durch einen Mitbruder innerhalb der Klostermauern zur Vertreibung des Ordens aus dem wunderschönen Weiler führte. Die Serviten Marias wurden erst drei Jahre später, 1644, wieder zugelassen, unter der Bedingung, dass sie sich um die Kranken und Bedürftigen kümmenrte (sie bauten also das "Hospital" wieder auf, dass sie von den Umiliati geerbt hatten), dass sie eine Primarschule eröffneten und ihren religiösen und seelsorgerischen Einsatz für die Gemeinschaft bezeugten.
Die letztgenannte Aufgabe erfüllten sie besonders gut. Im Klima der Gegenreform in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts führten die Serviten in Mendrisio den Kult der Jungfrau der Sieben Schmerzen ein und übernahmen die Karfreitagsprozession; dabei legten sie besonderen Wert auf die genaue Einhaltung der offiziellen Position der katholischen Kirche in Bezug auf Themen, Inhalte und den Ablauf derselben.
Erleuchtet vom schwachen Licht der Transparente und Leuchten, stellt der nächtliche Umzug - in Erinnerung an frühere Zeiten, als sämtliche Bestattungsriten nach Sonnenuntergang stattfanden - den Höhepunkt der Karwoche in Mendrisio dar.